Als wir 1991 vor dem Krieg flüchteten

1991 kamen meine Familie und ich nach Österreich. Als Flüchtlinge. 2015 suchen Menschen wieder Hilfe und bekommen nicht das was sie verdienen: Würde. Ein Wutbrief.

Menschen, die mich und meine Familie persönlich kennen, wissen, dass wir 1991 nach Österreich gekommen sind. Nicht freiwillig. Wir sind damals vor dem Krieg in Ostslawonien geflohen. Ich hänge das nicht an die große Glocke und “prahle” nicht damit, weil es eine ganz einschneidende Erfahrung war, die das Leben meiner ganzen Familie, nein eines ganzen Landes grundlegend verändert hat. Um ehrlich zu sein, ist mir egal wer mit dem Ganzen begonnen hat oder was die Ursache für das Geschehen war – meine Eltern, meine Familie und viele andere Kroaten verloren damals ihr zuhause, ihre Existenzgrundlage, ihr Hab und Gut und….. ihre Familien.

Wozu das Ganze und wieso jetzt?

Europa ist derzeit das große Ziel vieler Flüchtlinge aus diversen Krisenregionen. So war es auch 1991. Damals hat Österreich eine beispiellose Hilfsbereitschaft an den Tag gelegt, hat meiner Familie und mir die Möglichkeit gegeben wieder einen Boden unter den Füßen zu bekommen, der uns einfach so weggerissen wurde.

Derzeit befinden sich tausende Menschen in Österreich, die das Gleiche wie wir 1991 erlebt haben: Sie suchen Schutz, Schutz vor dem Tod, der in ihrem Land keinen Halt macht. Egal ob Baby, Kind oder Erwachsener. Eine Kugel sucht sich ihr Ziel nicht aus, sie töten den Menschen, der sich ihr in den Weg stellt.

Leider vergessen das viele. Sie wissen nicht (woher auch) wie es sich anfühlt um sein Leben zu laufen. Ich wünsche niemandem, dass er so wie meine Schwester und ich aus Todesangst nach den Armen der Mutter greifen, weil gerade ein Kampfflugzeug über deinem „Psydobunker“ vorbei geflogen ist. Nicht wissend ob er uns jetzt töten wollte oder nicht. Alleine der Gedanke daran, dass wir durch teilweise verminte Waldstücke um unser Leben laufen mussten, weil das der einzige Schutz vor den Flugzeugen war, lässt mich noch immer zusammenzucken.

Das wünsche ich keinem Menschen auf dieser gesamten Welt. Und das ist auch der Grund, wieso wir alle zusammenhalten müssen. Egal woher wir sind.

„Das Problem“ mit Flüchtlingen

Ich versuche die Sache immer aus zwei Perspektiven zu sehen. Die einen, die gegen Flüchtlinge hetzen und die Flüchtlinge selbst. Natürlich gibt es da noch die dritte Sichtweise, die des Staates.

Irgendwo kann ich die Angst einiger Leute verstehen. Ja, da kommen Leute aus einer Kriegsregion her. Leute, deren Kultur ich quasi nicht kenne oder verstehe. Menschen, die vielleicht etwas andere Bedürfnisse haben. Sie fliehen vor Terroristen, aber wer kann mir garantieren, dass es sich bei dem einen oder anderen jungen Mann nicht auch um einen Terroristen handelt, der nur auf den richtigen Moment wartet? Da bekommt man es mit der Angst zu tun. Es gibt auch kulturelle Unterschiede. Der Großteil der Flüchtlinge sind Muslime. Der Islam hat seine Eigenheiten, die teilweise nicht mit der westlichen Lebensweise kompatibel sind. Aber hier gilt es: Sucht doch das Gemeinsame und nicht das Trennende. Nur weil jemand anderer etwas nicht isst oder eine andere Sprache außer Deutsch spricht, ist er kein Mensch zweiter Klasse. Diese Menschen sind zu uns gekommen, weil sie Hilfe brauchen und suchen. Sie wissen, dass es uns hier gut geht. Sie möchten Sicherheit haben, ein Bett und regelmäßig etwas essen. Ja, sie wollen auch arbeiten. Sind sogar froh, wenn man ihnen auch etwas zum Arbeiten gibt. Sind nicht undankbar. Ich kann es nicht in Worte fassen wie dankbar man für Schutz, Sicherheit, Essen und Beschäftigung sein kann. Meine Eltern waren ebenfalls dankbar, dass ihre Kinder in einer sicheren Umgebung aufwachsen und an der Gesellschaft teilhaben konnten.

Österreich hat meinen Eltern, meiner Schwester und mir eine Perspektive gegeben. Wir haben neue Menschen kennen gelernt, wir haben die Sprache gelernt und wir haben uns hier integriert. Seit 24 Jahren können wir stolz sagen: Danke. Danke, dass ihr uns ein neues Fundament unter unseren Füßen gegeben hat, den uns der Krieg erbarmungslos weggerissen hat.

Jetzt ist es an der Zeit auch diesen Menschen eine Perspektive zu geben. Es wird an der Zeit endlich MENSCH zu sein.

Eine Sache stört mich

Und zwar gewaltig. Menschen kommen nach Österreich, suchen Schutz. Sind froh, dass sie den lebensgefährlichen Weg überlebt haben und eventuell das eine oder andere Familienmitglied wieder finden. Was mir an der gesamten Sache stinkt: Österreich ist in der Tabelle der reichsten Länder der Welt sehr weit oben zu finden. Und was macht man mit Menschen, die Schutz und Hilfe suchen? Man lässt sie in Traiskirchen bei jedem Wind und Wetter draußen (!) schlafen. Sanitäranlagen? Mehr oder weniger nicht vorhanden. Vor allem nicht für diese Menge an Menschen. Das kann sich nicht ausgehen. Und (das regt mich besonders auf): WIE ZUM HENKER KANN MAN DIESE VERANTWORTUNG AN EIN PRIVATES UNTERNEHMEN AUSLAGERN?! Wer hat das zu verantworten? Wie kann das sein, dass humanitäre Verantwortung einfach an ein kommerzielles Unternehmen abgeschoben wird? Selbstverständlich trachtet eine Firma danach, Gewinne zu erzielen. Aber, lieber Staat Österreich: Dann doch bitte nicht in diesem Bereich. Ihr könnt gerne die Bahn, die Post und andere Dinge in private Hände geben – da ist es mir „egal“. Doch bei dem Thema Flüchtlinge? Da platzt mir der Kragen. Das kann es doch nicht sein – und hier (ein Wunder…) bin ich der gleichen Meinung wie Frau Glawischnig. Diese Sache gehört in die Hänge von Experten – von Caritas, dem Roten Kreuz. Mit 21 Millionen Euro (so viel kostet Traiskirchen im Jahr) könnten diese Hilfsorganisationen doch etwas mehr anfangen. Mit 21 Millionen Euro könnte die Unterkunft zu einer erweitert werden, die ihren Namen als solche auch verdient hätte.

Okay, noch eine Sache stört mich und macht mich fuchsteufelswild

Im Gegensatz zu einer kleinen Menge an Gestörten, die Unwahrheiten und verbalen Dünnschiss in dieser Thematik von sich geben, stört mich noch eine zweite Sache. Und das vielleicht sogar mehr, als der Zustand von Traiskirchen.

In Österreich gibt es viele Menschen, die gerne Flüchtlingen helfen wollen. Einerseits mit Sachspenden und andererseits gibt es auch Menschen, die viel Platz bei sich haben und Flüchtlingsfamilien aufnehmen wollen. Doch hier gibt es eine ganz große Schikane. Bevor man das machen darf/kann, muss die Behörde dieses Quartier als solches kontrollieren und freigeben. Ob es denn den Ansprüchen, die man aufgestellt hat, gerecht wird. Was? Oder eher WTF?

Bevor ich nochmals ausfallend werde. Tief durchatmen, Marijan. Gut. Schauen wir mal nach Traiskirchen wie dort Menschen „gehalten“ (dieses Wort triffts irgendwie…) werden. Übelste Zustände. Sanitäranlagen, die in Wahrheit keine sind. Schlafplätze. Wo? Menschen müssen draußen schlafen. Oder (der neueste Durchbruch) in Bussen! Ja, da haben es Tiere auf einem Bauernhof besser. Die haben wenigstens ein Dach über dem Kopf. Und bekommen auch noch ordentliches Essen.

Und dann kommt man auf die Idee Eigenheime zu kontrollieren und den Menschen vorzuschreiben was wie auszusehen hat, damit sie Flüchtlingen ein Bett und Unterkunft geben? Da kommt mit das Mittagessen drei Mal hoch. Dann bekommen Menschen Absagen, weil ihr Quartier „unangemessen“ sei? Ist das Bett eventuell im 2 cm zu schmal? Das Bad zu eng? Die Küche zu westlich?

Außerdem muss ich mich durch diverseste Papierschikanen und Anträge durchwühlen. Hallo! Ich möchte doch nur Menschen eine Perspektive geben und diese nicht adoptieren! Im Gegensatz zu eurem Erstaufnahmezentrum, bekommen die Menschen ein angemessenes Quartier…

Klar: Eine Unterkunft muss angemessen sein. Aber ich gehe doch davon aus, dass wenn Menschen Hilfe anbieten, sie auch eine adäquate Unterbringung gewährleisten können.

Als wir 1991 eine Chance bekommen haben

wirinoesterreich
Rechts oben: Meine Mama (24), in der Mitte meine Schwester (3 Jahre alt) und links unten ich (6 Jahre alt)

Wir sind in Österreich einige Tage in einem Gasthof untergekommen. Hotel Restaurant Bauer. Neben einigen anderen Familien durften wir dort einige Tage verbringen, ehe wir von Familie Binder aufgenommen wurden. Kein Erstaufnahmezentrum. Keine katastrophalen Zustände. Geordnet und Hilfsbereit. Ich kann mich nicht oft genug bei allen bedanken, die uns geholfen haben. Es war keine leichte Zeit, vor allem dann nicht als uns klar wurde, dass unser Vater als Sanitäter an der Front andere Soldaten vor dem Tod retten musste. Jeder Tag hätte der letzte sein können, dass wir ihn am Telefon hörten. Wenn überhaupt; denn an eine funktionierende Infrastruktur in Kroatien und im Kriegsgebiet war damals nicht zu denken. Jeden Abend ins Bett zu gehen und nicht zu wissen ob der Papa lebt… war alles nicht sein einfach. Und nein, das wünsche ich niemandem.

Wir hatten damals das Glück, dass wir die Möglichkeit bekommen haben nach Österreich zu kommen. Aber viele andere hatten Fortuna nicht an deren Seite. Meine Großeltern mussten Tag für Tag in den Keller flüchten, weil die Sirenen aufheulten. Meine Cousins, Onkel und Tanten – all sie erlebten Tag für das was jetzt die Flüchtlinge aus Syrien erlebt haben. Mein Großonkel hat ein Konzentrationslager in Serbien überlebt. Leider ist er an den Folgen der Folter und den Zuständen später verstorben.

Die Art und Weise wie wir aufgenommen wurden, wie sich unsere Mitmenschen in Purkersdorf um uns gekümmert und uns auch die Chance gegeben haben in die Realität zurückzukommen, ist beispiellos. Ich glaube, dass wir das nicht geschafft hätten, wenn uns fremde Leute, die heute unsere Freunde sind, nicht so geholfen hätten. Meine Mutter hat, trotz ihrer schlechten Deutschkenntnisse, in der Apotheke einen Job bekommen. Mein Vater, der heil aus dem Krieg ebenfalls nach Österreich kommen durfte, hat bei Familie Bauer in Purkersdorf eine Stelle gefunden. Meine Schwester und ich haben im Kindergarten Deutsch gelernt. Sind von den Kindern damals herzlichst aufgenommen worden, waren ein Teil der Gesellschaft.

Was aus uns geworden ist? Meine Eltern haben mittlerweile ein Haus in Purkersdorf, stehen mit beiden Beinen im Berufsleben. Meine Schwester und ich? Wir haben die Schule abgeschlossen und zahlen eine viel zu hohe Lohnsteuer. Haben Partner und wohnen in eigenen Wohnungen.

Eine erfolgreiche Integration ist der Schlüssel zum Erfolg. Und ich kann mit stolz behaupten, dass meine Familie das Aushängeschild für perfekte Integration ist. Wir haben uns, dank der überragenden Unterstützung, integriert und sind ein Teil dieser Gesellschaft geworden.

Ich glaube nicht, dass wir so erfolgreich integriert worden wären, hätten wir solch eine Erfahrung wie die derzeitigen Flüchtlinge gemacht. Dort kümmert sich niemand um diese Menschen. Sie haben keine Beschäftigung, sondern werden wie letztklassige Geschöpfe behandelt, denen man das Gefühl gibt, dass sie eine Belastung und nicht willkommen sind. Und das stimmt nicht. Es gibt so viele Menschen, die helfen wollen, es aber aufgrund von behördlichen Schikanen nicht können. Und das gehört geändert. Sofort.