Spazierfahrt: Es muss auch Spaß machen ft. Polestar 2

Eine Woche durfte ich den Polestar 2 testen. Hier meine Eindrücke.

Während der Fahrten mit dem Polestar 2, habe ich mir einige Gedanken darüber gemacht, wie ich diesen Beitrag gestalten möchte. Er soll natürlich einerseits schnell zu lesen, informativ und andererseits auch kurzweilig sein. Letzteres ist übrigens nicht meine Stärke. Aber das ist ein Thema für einen anderen Tag.

Jedenfalls bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass dieser Titel wohl am angebrachtesten ist. Warum? Das wirst du, lieber Leser, im Laufe dieses Beitrages erfahren. TL;DR: Autofahren muss weiterhin Spaß machen. Und der Polestar 2 macht Spaß. Und wie.

Schick ist er, der Polestar 2

Wer kennt nicht das Gefühl, wenn man ein neues Spielzeug zum ersten Mal in die Hand nehmen und damit spielen darf? Genauso ist es mir mit dem Polestar 2 gegangen: Ich war recht aufgeregt, erstmals das Auto fahren zu dürfen. Und dann auch noch die stärkste Variante mit 300 kW oder 408 PS in alter Währung. Viel Leistung für ein Auto – das Stärkste, das ich je gefahren bin.

Es ist anders

Im Auto dann der erste “Aha” Moment: Polestar hat hier ein ganz anderes Konzept als zum Beispiel VW mit seiner ID. Familie verfolgt. Es fühlt sich wie ein Verbrenner an – nur, dass es ein Elektroauto ist. Wie ich das meine? Nun, es ist – typisch Verbrenner – vorne “eng” nicht so luftig wie ein Auto aus der ID. Familie, die ich bisher fahren durfte. Jemand, der von einem 3er BMW oder einem ähnlichen Auto kommt, wird sich hier sofort wohlfühlen. Und das ist, glaube ich, auch die Motivation dahinter gewesen. Das Auto sieht nicht wie ein E-Auto aus, es “fühlt” sich nicht so an, fährt sich aber wie eines. Dazu aber später mehr.

Auf der B17 kam dann die erste Neugier: Wie zieht er denn? Ein beherzter Tritt auf das “Gas”pedal und schon war man mit einem Wimpernschlag von 0 auf 76 km/h. Wow. Gemütlich ging es dann nach Hause. Ich wollte ja einerseits keine Strafzettel kassieren und andererseits das Auto mal kennenlernen.

Der Innenraum

Wie ich Eingangs schon erwähnt hatte: Der Polestar 2 bietet grundsätzlich Platz. Hier können vier Personen eine längere Autofahrt aushalten und auch genießen. Aber er hat nicht diese “Luftigkeit”, die ein ID.3 zum Beispiel bietet. Ich kann mir vorstellen, dass das durchaus Absicht war, denn mit 300 kW und der straffen Federung wird der Polestar 2 sicherlich etwas rascher in Kurven gefahren und da ist “Luftigkeit” eher fehl am Platz. Der Fahrer und die Gäste brauchen dann einfach Halt und den bietet der definitiv. Und das merkt man bei der einen oder anderen rasanteren Fahrt in sehr kurvigen Straßen. Während der schnellen Lastwechsel bleibt man sehr gut im Sitz, kann seine Knie gut abstützen und hat so den notwendigen Halt. Ich schweife ab.

Der Innenraum ist hochwertig verarbeitet. Eine interessante Note: Die Gurte sind Orange / Gelb gehalten und setzen sich so vom dunklen Innenraum ab. Das Panorama-Dach bietet für die hinteren Gäste Abwechslung. Ein kleines Minus gibt es dafür, dass es nicht abgedunkelt werden kann. Und der Kofferraum ist groß, sodass hier locker zwei große oder vier Kleinere reinpassen.

Nettes Detail: Im Kofferraum kann man den Boden zur Hälfte aufstellen, sodass ein Einkauf nicht hin und her rutschen kann. Eine Ebene drunter gibt es noch eine Ausbuchtung und zusätzlichen Platz.

Vorne dominiert der große Bildschirm das Geschehen. Was mir äußerst gut gefällt: Es gibt nicht nur das Display in der Mitte, sondern auch eines für den Fahrer. So hat man immer die Geschwindigkeit, den State of Charge und – dazu dann auch später mehr – die Navigation immer im Blick und muss ihn nicht großartig von der Straße wegschweifen lassen. Praktisch!

Dass der Bildschirm ein Fingerabdruckmagnet ist, an dem leidet auch der Polestar. Leider. Hier muss man immer ein Mikrofasertuch dabei haben, um Fett vom Schirm zu wischen.

Zusammenfassend kann man dem Innenraum nur eine “1-” geben. Warum ein Minus? Gleich … Aber es fühlt sich alles sehr wertig an, es knarrt nichts. So muss das sein. Hier könnte VW vor allem für den Preis des Polestar 2 einen Blick auf das Auto werfen und sich die eine oder andere Scheibe abschneiden. So gefällt mir das.

Das Minus gibt es übrigens für die Becherhalter oder den “nicht existierenden” Becherhalter. Das Auto hat zwar einen, aber dieser wird von der Armlehne verdeckt, sodass er nicht genutzt werden kann…

Das “nicht Elektroauto”

Spoiler. Es wird kontrovers.

Komische Zwischenüberschrift. Aber das ist schnell erklärt, denn der Polestar 2 sieht “normal” aus. Er ist ein Hingucker, denn während meiner Fahrten in Wien haben viele Menschen dem Auto nachgeschaut. Ja, die Marke ist hierzulande unbekannt, somit ist das Aussehen des Autos für die Meschen etwas Neues. Dann wären da auch noch die wirklich sehr gut aussehenden Felgen mit den organgenen Brembo-Bremsklötzen, die ein weiterer Augenmagnet sind. Und dann kommt das beste Feature von allen: ER IST LEISE. Menschen sind gewohnt, dass ein Auto beim (stärkeren) Beschleunigen (laute) Geräusche machen. Hier passiert einfach nichts. Ein Elektroauto eben. Zugegeben: Das Bad aus Ver- und Bewunderung habe ich nicht nur einmal genossen. Es hat echt Spaß gemacht, die überraschten Gesichter der Menschen zu sehen.

Was meine ich denn nun mit “nicht Elektroauto”? Natürlich ist der Polestar 2 ein Elektroauto. Zwar basiert die Plattform auf einem Verbrenner, aber trotzdem steckt hier ein 75 kWh großer Akku und zwei E-Motoren, die über 400 PS generieren.

4K und HDR!

Viele Elektroautofahrer sind der Überzeugung, die Welt zu retten. Sie sind der Meinung, dass sie mit ihren Zoes und e-Ups und teils einstelligen kWh / 100 Kilometer etwas “besseres” zu sein. Newsflash: Kein Auto rettet die Welt. Der ökologische Fußabdruck eines Autos ist enorm. Wenn jemand die Welt retten möchte, der sollte kein Auto kaufen, nie. Jedenfalls sind sie der Meinung, dass Autos, wie eben der Polestar 2 mit seinen 300 kW und etwas über 20 kWh auf 100 Kilometer verboten gehören. Weil sie zu viel Strom verbrauchen. Und diese Ansicht ist ein Problem.

Der Verkehr muss schnellstmöglich elektrifiziert werden. Das ist ein Faktum, dem (bis auf eine Handvoll Stammtisch-Parolen-Drescher und “Experten”) alle zustimmen. Der zweitgrößte Autohersteller der Welt, die Volkswagen Gruppe, ist der gleichen Ansicht. Und wie wird der Verkehr elektrifiziert? Indem man für alles und jeden ein passendes Fahrzeug hat. Für diejenigen, die gerne verkehrsbehindernd langsam fahren, gibt es passende, sparsame Modelle und dann gibt und muss es auch Modelle für Fahrer geben, die gern rasant fahren. Glaubt man denn ernsthaft mit einer Renault Zoe einen BMW M3 Fahrer von einem Elektroauto zu überzeugen? Nein.

Und der Polestar 2 ist genau solch ein “nicht Elektroauto”, denn er sieht nicht krampfhaft nach Elektroauto aus. Er hat sensationelle Fahreigenschaften und macht einfach Spaß. Das wird sich der durchschnittliche Otto-e-Up-Fahrer einerseits nie leisten können und andererseits auch nicht wollen. Das Auto passt nicht zu ihm. Zumal er damit wahrscheinlich nicht umgehen könnte. Ich habe schon Unfälle von ID.3s gesehen, weil der Fahrer mit den 150 kW des VWs nicht umgehen konnte …

In den sieben Tagen, in denen ich das Auto fahren und “testen” durfte, hatte ich sehr viel Spaß. Ich möchte damit nicht sagen, dass der ID.3 ein langweiliges Auto sei – nein, definitiv nicht. Aber der Polestar 2 mit seinen 408 PS mit dem Allradantrieb ist da schon eine andere Liga. Ab und zu haben Freunde am Rücksitz Platz genommen und wurden von mir und dem Auto wie Wäsche im Schleudergang durchgerüttelt. Bei all dem Spaß musste ich natürlich darauf achten, im Rahmen der Straßenregeln zu fahren, was mit dem Polestar 2 mitunter keine einfache Aufgabe ist, bei all der Power.

Nach einer Woche haben wir etwas über 410 Kilometer zurückgelegt. In diesen Tagen ist eine Energienutzung von 22,4 kWh entstanden. Die Hälfte der Kilometer wurden auf der Autobahn zurückgelegt – bei 140 km/h Tempomat.

Durstiger ist er im Vergleich zu seiner Konkurrenz sicherlich. Aber ich denke mal, dass das in Kombination mit dem größeren Akku durchaus in Ordnung ist. Sollte man mit 120 auf der Autobahn fahren, so sind durchaus 20 oder weniger kWh drinnen und somit eine Autobahnreichweite von 370 Kilometern.

Polestar hat allerdings auch ein Modell mit einem Motor und dem gleichen Akku herausgebracht. Dieser ist etwas sparsamer und sollte Reichweiten über 400 Kilometer schaffen, was für mich absolut in Ordnung ist.

Nachgeladen haben wir das Auto bei Ionity und auch bei meinem Lieblingsanbieter damobil. Hier hat der Polestar 2 bei 27 SoC knapp 150 kW gezogen. Wäre ich mit einem niedrigeren Ladestand angekommen, hätte das nichts gebracht, denn er zieht im Peak 150 kW und braucht somit von 10 auf 80 % rund eine halbe Stunde. Das ist ein guter Durchschnitt.

Schafft bitte WLTP ab

Einen Punkt, der ab sofort in meinen Berichten vorkommen wird, ist das Thema WLTP und wie weit weg das Auto davon ist. Unter realistischen Bedingungen, denn niemand fährt auf der Autobahn 90. Selbst die 120 sind schon ein Kompromiss um ehrlich zu sein. Aber auch das ist ein Thema für einen anderen Tag…

Jedenfalls. Laut Polestar sollte das 2er-Modell 482 Kilometer schaffen. Wie ich vorhin geschrieben hatte: Das schafft er “im echten Leben” nicht. Mit meinem “Verbrauch” von 22,4 kWh auf der Autobahn kommt er von 100% auf 0% 334 Kilometer weit. 148 Kilometer bzw. 30 % weniger als WLTP. Das ist schon viel, denn im Winter steigt die Differenz noch mehr an.

Deshalb, liebe Hersteller. Bitte definiert einen anderen Wert für die Reichweite. WLTP schadet euch, wie man unteranderem an diesem Gerichtsprozess merkt. WLTP ist zu keinem Zeitpunkt realistisch. Und warum schadet er? Die Autos schaffen niemals diese Reichweiten, die hier ermittelt werden. Das ist kein Polestar spezifisches Problem, sondern das aller Hersteller. Ich finde den Wert, den ich hier ermittelt habe, absolut in Ordnung. 300 Kilometer oder 3h am Stück sitzt doch eh niemand im Auto. Und wenn die Autos mit immer besseren Ladegeschwindigkeiten auf den Markt kommen, ist das Thema der Reichweite doch komplett egal…

Software

Ja, der VW-Fahrer spricht auch das Thema der Software an. Da Polestar Google-Automotive (nicht mit Google-Auto zu verwechseln. Bitte) nutzt, bietet es fast alle Vorteile der Google Welt: Man loggt sich mit seinem Google-Account beim Auto an und kann schon auf seine Maps Ziele zugreifen. Das Auto hat ABRP integriert. Spotify und Tunein Radio oder Pocket Casts können ebenfalls genutzt werden. Darüber hinaus ist der Playstore eher mau ausgestattet. Wer sich hier die gesamte Auswahl an Apps und oder Spielen erwartet hat, der ist hier leider fehl am Platz. Da muss Google sein Angebot deutlich verbessern, das hat nur bedingt etwas mit Polestar zu tun.

Wo Polestar durchaus Luft nach oben hat, sind die Einstellungsmöglichkeiten beim Thema Fahrassistenten (Beispiel: Die Kamera erkennt, dass 100 gefahren werden darf, reduziert die Geschwindigkeit von selbst aber nicht …) oder der Federung. Die könnte schon etwas weicher sein bzw. sollte sich einstellen lassen können. Ja, hier kommt mein Alter dann doch zum Tragen … Der Ton, dass man die Hand am Lenkrad halten soll, leider nicht leiser schalten. Man muss alle paar Minuten am Lenkrad rütteln, damit er weiß, dass man nicht schläft und aufmerksam ist. Ich würde hier schon erwarten, dass hier Sensoren im Lenkrad sind, die das merken.

Während ich das Auto gefahren habe, hat es ein Softwareupdate erhalten. Polestar aktualisiert das Auto scheinbar alle paar Wochen. Hier werden Wünsche der Community berücksichtigt. So haben sie mit dem letzten Update Apple Carplay integriert. Einen Changelog findest du auf deren Webseite. VW, schau!

Fazit

Die eine Woche mit dem Polestar 2 ist viel zu schnell vergangen. Leider. Denn nach diesen 168 Stunden habe ich mich ernsthaft in das Fahrzeug “verguckt”. Es fährt sich unfassbar gut. Es macht Spaß und nach all den Jahren mit “vernünftigen” Autos wäre der Polestar 2 richtig passend. Weil es einfach Spaß macht und weil man damit die ganzen 3er BMW Typen auf dem Gürtel von 0 bis 54 ärgern kann. Das konnte ich mit dem ID.3 zwar auch, aber mit dem Polestar 2 hätte es eindeutig mehr Spaß gemacht.

Auch der kurze Autobahn-Test (Breitenfurt – Ionity St. Valentin – Breitenfurt) hat gezeigt, dass es auch auf der Autobahn eine gute Figur macht. Was ich gerne noch testen wollen würde, und zwar mit dem Single Motor Long Range Modell, ist eine Fahrt nach Kroatien und zurück. Meine kleine “1000 Kilometer Challenge”. Spoiler: Sowas kommt Mitte August, aber mit einem anderen Auto. Stay tuned!

Marijan, ist das Auto jetzt gut? Kann man es kaufen? Ich denke, dass man das herauslesen konnte. Ja! Absolut und zwar mehr als gut. Sehr gut sogar. Ob es für dich ist, musst du, lieber Leser, selbst herausfinden. Am besten zu einem Autohaus und es Probefahren, denn das wird definitiv kein Fehler sein. Vielleicht doch, denn dann möchtest du es gleich mit nach Hause nehmen. Und hier gibt es auch gute Nachrichten, denn Polestar schafft es keine langen Lieferzeiten zu haben! Die Autos sind recht flott da. Die nächste gute Nachricht: Das Leasing ist ebenfalls sehr attraktiv.